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Geschlechterwechsel im Schamanismus

15. Okt. 2019 | Von: Stefan Brönnle | Kategorien: Mythen, Symbole, Schamanismus, Bewusstsein | 0 Kommentare

Schamane in androgyner Tracht

„Die Frauen schmücken ihre rechte Seite mit Männerkleidung.
Das Volk der Sumerer zieht vor dir auf.
Ich sage »Heil« zu Inanna, Große Göttin des Himmels.
Die Männer schmücken ihre linke Seite mit Frauenkleidung.
Das Volk der Sumerer zieht vor dir auf."

So lautet eine Hymne aus dem 3. Jahrtausend vor Christus. Die Aneignung der gegengeschlechtlichen Rolle scheint alt zu sein, fast so alt wie die Menschheit selbst. Die rituelle Transsexualität lässt sich in vielen schamanischen oder schamanisch geprägten Kulturen nachweisen. In manchen wird die Transsexualität sogar als Beleg der Befähigung gesehen, Schamane zu werden. Wie der Schamane sich mit dem Tiergeist vereint, indem er das Bärenfell, die Büffelhörner oder die Rabenfedern trägt, so nimmt er oder sie die gegengeschlechtliche Rolle ein, indem der Mann Frauen- die Frau aber Männerkleidung anzieht. Damit wird eine Bewusstseinsschwelle überschritten.

Die Ojibwa kannten den „Zweigeist" (nisomanito genannt). Die betroffene Person trug in ihrer Auffassung zwei Seelen in sich: Eine männliche und eine weibliche. Jugendliche, die während der Pubertät das Verhalten des Gegengeschlechts einnahmen, wurden als solche Zweigeister angesehen und dazu gedrängt, den schamanischen Weg zu gehen. Der transsexuelle Impuls wird hier als das starke Wirken der Spirits verstanden, die gegebenen Grenzen zu überwinden. Derartige männliche „Twospirits" heirateten sogar oft Männer und übernahmen die Rolle der Frau im Alltag. Sie galten nicht als homosexuell, sondern als eine Art „drittes Geschlecht".

Bei den Mapuche (Südwestküste Südamerikas) wird vorwiegend der Frau die magische Kraft zugeschrieben. Die Fähigkeit, Leben zu gebären, wird als die grundlegendste Magie verstanden. Männer, die mit der schamanischen Kraft gesegnet sind, ziehen daher oft Frauenkleider an, als Zeichen ihrer Begabung.

In Japan, das in seinen Mythen eine starke Gender-Crossing-Tradition pflegt, sind die Dosojon bekannt, göttliche Wesen, die ebenso männlich wie auch weiblich sind. „Halbmond" werden Menschen genannt, die unter dem Einfluss der Dosojon stehen und den Mythen nach ihr Geschlecht mit den Mondphasen zu wechseln im Stande sind. Dies hat große Ähnlichkeit zu China mit seinen transvestitisch gekleideten Wu-Schamanen, die in Gruppen umherzogen.

Bei den Burjaten trugen die berühmtesten und begabtesten Schamanen Frauengewänder, insbesondere wenn sie ihre Zaubergesänge anstimmten. Auch dies hat Verwandtschaft im nordeuropäischen Raum. Der magische Gesang des Galder wurde zum Teil im Falsett (Hohe Kopfstimme) vorgetragen. Männer trugen dabei offenbar sogar Frauenkleider und ahmten bewusst Frauenstimmen nach.

In der griechischen Mythologie zeigt Teiresias den Geschlechterwechel wohl am offenichtlichsten. Teiresias galt als einer der größten Seher der helenistischen Welt. Als er vom Berg Kyllene herabstieg, traf er auf zwei sich begattende Schlangen. In ihnen tritt uns das Urbewusstsein der Erde symbolisch entgegen. Teiresias tötete die weibliche Schlange und verwandelte sich daraufhin in eine Frau. Er heiratete und hatte Kinder. Nach sieben Jahren traf Teiresias erneut zwei kopulierende Schlangen und tötete die männliche, worauf er sich wieder in einen Mann verwandelte. Erst durch diesen gegengeschlechtlichen Verwandlungsakt (er nimmt die Rolle der getöteten Schlange an, identifiziert sich mit ihr), wurde ihm die große seherische Gabe zuteil.

Wir erkennen die deutlichen schamanischen Bezüge, die der Teiresias-Mythos in sich trägt. Indem der Schamane/Seher die Geschlechtergrenze sprengt, sprengt er die Rollen und Gesetze des Alltags. Er betritt einen andersweltlichen Raum, in der die Seele androgyn, also entweder geschlechtslos oder eben zweigeschlechtlich ist. Diese mächtige Bewusstseinserfahrung macht den sexuell-andersweltlichen Grenzgänger zum Hermes-Aphrotiten, zum spirituellen Hermaphrodit.

In manchen Kulturen bleibt dieser Wechsel auf die rituelle Bekleidung beschränkt, kann aber unter Umständen bis zur rituellen Entmannung gehen, in der wir wiederum eine Variation der schamanischen Zerstückelung wiedererkennen können.

Der Geschlechterwechsel wurde auch in nachschamanischen Kulturen im Priesteramt zumindest rituell aufrecht erhalten: Männliche Priester des Kybele-Kultes trugen die Gewänder der Priesterinnen, die im Übrigen die rituellen Gewänder christlich-katholischer Priester beeinflusst haben.

Bild © Валерий Иргит mit freundlicher Genehmigung

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